Der Krieg in der Ukraine und die Macht der Deutungshoheit
Obwohl der militärische Angriff seitens der Russen, unter der Führung von Putin, eine überraschende Wirkung hatte, so hat sich diese Art der Eskalation doch irgendwie über die Jahre abgezeichnet. Im Vorfeld wurde auf politischer Weltbühne viel für eine kriegerische Auseinandersetzung auf europäischem Boden getan. Wir als Konsumenten der Medien, als stille Beobachter, wurden unzählige Male Zeuge, wie man definitiv nicht deeskalierend auf Konfliktsituationen einwirkt. Im Gegenteil, es wurde trotz benzinhaltiger Luft kämpferisch mit dem Streichholz gewedelt.
Ich möchte nicht zu sehr auf historische Ereignisse eingehen und auch keine Entstehungsprozesse rekonstruieren. Aber worum geht es in diesem Konflikt, der den Frieden, vor allem in Europa nachhaltig bedroht?
Mit offenen Karten
Wir sollten nicht einer Illusion erliegen und glauben, es ginge hier im Kern nur um die Frage Krieg oder Frieden. Nüchtern betrachtet muss man feststellen, dass die Ukraine der Spielball der politischen Weltmächte war und immer noch ist. Es geht um Interessen, um Einfluss, um Wirtschaft und Geschäfte. Es geht darum, wer von außen „seine“ ukrainische Regierung, quasi eine Marionettenregierung installieren kann. Nicht erst jetzt, seit dem Angriff der Russen, nein, seit spätestens 2014 ist mehr als offensichtlich wer welche Interessen verfolgt. Die Administration der Vereinigten Staaten hat vor 8 Jahren den blutigen Sturz der pro-russischen Regierung in der Ukraine federführend vorangetrieben. Nun möchte Putin die pro-westliche Regierung stürzen und seinen Machteinfluss erweitern. Willkommen auf dem Schachbrett der Weltpolitik.
Zu den wenigen Spielregeln gehört es, die Öffentlichkeit zu täuschen und die wahren Gründe für einen Kriegseintritt nicht zu benennen.
Natürlich soll seitens des Westens der Eindruck erweckt werden, hier ginge es um Völkerrecht, den Schutz der Souveränität eines Staates oder schlicht um Menschenleben.
Natürlich soll seitens Putin der Eindruck erweckt werden, er verfolge selbstverständlich völlig uneigennützige Ziele, er wolle beispielsweise die Ukraine entnazifizieren und befreien. Wer auf diese Scheinheiligkeit, egal von welcher Seite, reinfällt, ist mehr als naiv. In Wahrheit braucht nur jeder, wie in jedem Krieg, einen Vorwand. Dieser aktuell stattfindende Krieg hat ausschließlich geopolitische und machtstrategische Gründe.
Das alte Spiel – Gut gegen Böse
Wer die öffentliche Meinung beherrscht, entscheidet wer gut und wer böse ist. Die Sprache wird benutzt um Gedanken zu lenken, Meinungen zu erzeugen, die konkrete Deutung eines Sachverhaltes einzugrenzen. Sich aus dem Würgegriff des betreuten Denkens zu befreien ist wahrlich nicht einfach und bedarf Eigeninitiative und viel Mut.
Der Westen, die NATO, allen voran die US-Amerikaner wissen sich stets als edle Ritter darzustellen. Sie haben als Verfechter der Demokratie und der Menschenrechte ausschließlich edle Beweggründe um militärisch aktiv zu werden. Der Russe strahlt immer die Gefahr aus, ist der Aggressor. So lautet das sich seit Jahrzehnten, mit großer medialer Unterstützung, stets wiederholende Narrativ. Wirft man jedoch einen genaueren Blick auf die Weltpolitik der letzten 100 Jahre, wird die Scheinheiligkeit der US-Amerikaner deutlich, da sie den Russen genau das vorwerfen, was sie selbst seit etlichen Jahrzehnten nachweislich machen.
Was machen wir als Westen? Wir schweigen bei eigenen Gräueltaten und denen unserer Freunde und zeigen bei jedem kleinsten Vergehen unserer Feinde mit dem Finger auf sie. Daran ist gut erkennbar, wer die Deutungshoheit besitzt, wer entscheidet, welche Kriege wie einzuordnen sind.
Wir müssen ehrlich sein und nüchtern feststellen, dass selbst wenn Russland bzw. Putin sich von Machtinteressen leiten lässt und absichtlich die Stabilität des Friedens stört, es am Ende nichts anderes ist als das,was NATO und US-Amerikaner auch machen.
Nur wir, die Guten, haben Interessen, die mit allen Mitteln auf der ganzen Welt durchgesetzt werden dürfen. Nicht aber die Russen. Doppelmoral.
Etliche US-Präsidenten sind Kriegsverbrecher gewesen, aber wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Barack Obama bekam sogar den Friedensnobelpreis! Stattdessen wird Putin dämonisiert und mit Hitler verglichen. Dieser Vergleich ist eine unreflektierte Relativierung der Nazizeit.
Sollte in den bisherigen Zeilen der Eindruck entstehen, dass ich Putin in Schutz nehmen möchte, muss ich dem vehement entgegentreten. Hier geht es ausschließlich darum auf die Heuchelei des Westens aufmerksam zu machen.
Drohungen, Sanktionen, Waffenlieferungen
Leider ist eine für ganz Europa bedrohliche Situation entstanden. Diese gehört es ohne Waffengewalt und ohne Eitelkeiten zu befrieden. Doch das Verhältnis der beteiligten Parteien ist von großem Misstrauen und wechselseitigen Vorwürfen geprägt. Mit Drohungen, Waffenlieferungen und Sanktionen erreicht man jedoch keine Annäherung, sondern das Gegenteil.
Waffenlieferungen verlängern den Kriegszustand und sorgen für noch mehr Tote. Sanktionen treffen hauptsächlich die unschuldige Zivilbevölkerung. Drohungen provozieren eine aggressive Reaktion. Aber scheinbar ist das alles unser Verständnis von Deeskalation. Damit weniger Menschen leiden müssen, bringen wir noch mehr Menschen dazu zu leiden – Kriegslogik.
So abscheulich es auch klingt, aber es gibt tatsächlich auch Profiteure der jetzigen Situation.
Rüstungskonzerne reiben sich die Hände und verdienen mehr Geld, je länger der Krieg andauert. Glaubt man den geschriebenen Worten von Zbigniew Brzezinski (ehemaliger Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter) und auch den Worten von George Friedman (US-amerikanischer Geostratege und Sicherheitsexperte), dann profitieren auch die Vereinigten Staaten von Amerika vom Krieg in der Ukraine. Denn beide beschrieben in der Vergangenheit offen die Nachteile die das Imperium USA hat, wenn in Europa Frieden herrscht, wenn sich explizit Deutsche und Russen verstehen und kooperieren.
Frieden, um jeden Preis
Den letzten und äußerst wichtigen Abschnitt des Beitrages möchte ich mit Worten von Gregor Gysi beginnen, der sagte: „Wenn viele Völkerrechtsverletzer dem Völkerrechtsverletzer Russland vorwerfen das Völkerrecht zu verletzen, ist das nicht besonders wirksam und glaubwürdig.“
Uns, als Westen, fehlt der Wille eigene Fehlentscheidungen zu erkennen. Welchen Anteil haben wir an der Situation? Statt ausschließlich Putin negative Eigenschaften zu attestieren, wieso nicht vor der eigenen Haustür kehren? Wollen wir Recht haben oder verstehen? Wollen wir Frieden oder um jeden Preis der Gewinner sein?
Wenn wir in der Zukunft verhindern wollen, dass ähnliche Situationen wie in der Ukraine entstehen, müssen wir aus der Vergangenheit lernen. Wir müssen selbstkritisch sein, in die Analyse gehen und nicht stur jegliche Schuld von uns weisen.
Wollen wir den Konflikt friedlich lösen, und das sollte oberstes Ziel sein, muss eine Dialogbereitschaft vorhanden sein. Aber offensichtlich sind wir in unserer Geistesverfassung nicht in der Lage zu deeskalieren. Keine Drohungen, keine Sanktionen und erst recht keine Waffen werden diesen Krieg beenden.
11. März 2022
Politik