In die eigene Falle getappt – Moria und die Würde des Menschen
Für wenige Tage lag der mediale Fokus tatsächlich mal nicht auf einem Virus. Nein, ich spreche nicht von den Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten.
Alles stürzte sich auf Europas größtes Flüchtlingslager Moria. Ein Brand zerstörte großflächig „Lebensräume“ der sich dort aufhaltenden Menschen.
Wie schon erwähnt, war das Interesse nicht von Dauer und mittlerweile sind auch schon wieder einige Wochen vergangen. Die ganze Aufmerksamkeit verschwand so schnell wie sie gekommen ist und Corona löste Moria und die dort herrschenden Zustände als Hauptgesprächsthema wieder ab. Mitleid hat eben seine Grenzen…
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, steht im Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik geschrieben. Da wir in der Vergangenheit regelmäßig unserer Verantwortung nachgekommen sind und als militärisch wichtiger Bestandteil der weltweiten Friedenssicherung aktiv an etlichen Kriegen teilgenommen haben, macht es Sinn, das Thema nochmal zu entstauben und wieder aus der Schublade zu holen. Vielleicht kommt dann das Bewusstsein für eigene Fehler oder gar ein konkretes Schuldeingeständnis.
In besagtem Flüchtlingslager, welches ursprünglich Platz für 2.800 Personen bieten sollte, lebten phasenweise 20.000 (!) Menschen. Selbsterklärend, dass unter diesen Umständen fatale humanitäre Lebensbedingungen herrschen. Eine tickende Zeitbombe, die nur noch darauf wartet hochzugehen. Alles nur eine Frage der Zeit.
Nur leider nehmen wir Mitteleuropäer, wir Bürger des Westens, diese Gefahr kaum wahr. Solang uns das Leid nicht persönlich betrifft, ist auch jeder Gedanke darüber Zeitverschwendung. Maximal überkommt uns die Angst wenn sich das Problem in Form von potenziellen Einwanderern nähert. Wir sehen unseren Status Quo gefährdet. Das ist auch legitim. Aber wir müssen verstehen, dass unser Status Quo nicht losgelöst von prekären Situationen andernorts ist!
So hart es klingt…es musste erst etwas brennen, damit wenigstens für einen kurzen Moment Aufmerksamkeit generiert wird. Hätte es den Brand im Flüchtlingslager nicht gegeben, hätte es keine News bezüglich Moria gegeben. Kein Spotlight auf die unmenschlichen Zustände. Nichts.
Die ProSieben-Spaßvögel Joko und Klaas hätten auch kein ergreifendes Video zur Thematik produziert. Ein Video, wer es gesehen hat wird es bestätigen, dessen Inhalt kein Auge trocken lässt. Die Dramatik der Situation wurde gut verständlich transportiert und zweifelsfrei war das eine lobenswerte Aktion. Aber was sonst? Wo sind solche Taten wenn so eine Thematik nicht der Mittelpunkt in der Medienlandschaft ist? Wo sind die Leute mit Reichweite, die Mut beweisen und Aufmerksamkeit für wichtige Themen herstellen? In Situationen wo sie selbst nichts davon haben oder im Gegenteil, vielleicht sogar etwas riskieren? Wenn man schon die Klicks und die guten Einschaltquoten mitnehmen will, wieso verliert man dann nicht auch paar Worte über Fluchtursachen? Da besteht ja ohne Frage ein großer Zusammenhang.
Am Fall Joko und Klaas, die hier symbolhaft für weite Teile der medialen Öffentlichkeit stehen, sieht man, dass es nicht um Wissenstransfer geht, sondern einfach nur auf den Zug aufgesprungen wird. Morgen macht ein neues Thema die Runde, also was soll´s…
Aber auch wenn uns am nächsten Tag wieder belanglose Dinge beschäftigen, ist die gestrige Geschichte leider nicht aus der Welt.
Die Existenz von Moria und die dort herrschenden Zustände sind hinlänglich bekannt. Hier und da sind ja tatsächlich mal vereinzelt Kurzmeldungen in den Nachrichtensendungen zu finden. Man kann also davon wissen, wenn man will.
Ebenso gibt es Fachliteratur die das Thema aufgreift und erschreckend ehrlich und schonungslos die Augen öffnet. An dieser Stelle sei das Buch „Die Schande Europas“ von Jean Ziegler zu empfehlen. Der Titel könnte passender nicht sein.
Ich möchte in diesem Beitrag weder Stimmung pro, noch contra Einwanderung machen. Jeder kann seine eigene Meinung haben. Uns muss lediglich erstmal bewusst sein, welche Zusammenhänge existieren. Diese sind vielen nicht bewusst. Wären sie es, würden wir unsere Einstellung zur Thematik hinterfragen.
Man kann es drehen und wenden wie man will, alles hängt mit allem zusammen.
Unabhängig davon ob Menschen vor Krieg flüchten oder einfach ein besseres Leben wollen…Wir sind mitverantwortlich für diese Umstände. Wir sind mitverantwortlich für Moria.
All die Kriege aus geopolitischen Interessen, um unsere Position in der Welt zu verteidigen, um Bodenschätze und damit unseren Lebensstandard aufrechterhalten zu können. Wir nutzen in einigen Gebieten der Welt die Menschen für unseren Wohlstand aus und erzeugen damit selbst die Flüchtlingsströme. Wir erzeugen Unzufriedenheit und Leid, auch aus großer Entfernung.
Leider sind wir größtenteils nicht zugänglich was Verbindungen betrifft. Wir wollen sie nicht sehen. Wir wollen nicht wissen ob wir in irgendeiner Form Teil oder gar Erzeuger von Problemen sind. So können immer andere schuld sein, nur nicht wir bzw. ich als Einzelperson.
Frau Merkel ist schuld! Die bösen Politiker sind schuld!…
Nein, wir sind alle gemeinsam schuld.
Wenn du machst, was du immer machst, bekommst du das, was du immer bekommst.
Ändern wir nichts an unserem Lebensstil und unserer Einstellung, lösen sich die Probleme auch nicht. Im Gegenteil, sie werden größer und kommen immer näher.
10. November 2020
Gesellschaftskritik