Reden ist Silber, schweigen ist Gold, diskutieren ist unbezahlbar
Was kommt dir in den Kopf wenn du an eine Diskussion denkst? Oder wenn du nur das Wort siehst? Was macht es mit dir? Assoziierst du damit etwas Positives oder etwas Negatives?
Eine Diskussion ist anstrengend, zeitaufwendig und man muss seinen Kopf benutzen. Dann stellt sich noch die Frage ob man als Gewinner oder als Verlierer aus der Diskussion geht…man will ja schließlich Recht haben und nicht dumm dastehen. Irren ist zwar menschlich, aber das muss ja nicht zwingend sein wenn man es vermeiden kann.
Eine gute Diskussion zu führen ist nicht einfach und setzt gewisse Eigenschaften und Fähigkeiten voraus.
Es reicht nicht einfach zu quatschen oder mit halbem Ohr hinzuhören. Sich gut und verständlich ausdrücken und aufmerksam ohne abschweifende Gedanken zuhören können sind Grundvoraussetzungen, an denen es bei vielen Leuten meist schon scheitert. Empathie ist ein weiterer wichtiger Faktor. Ich muss in der Lage sein Wahrnehmungen, Blickwinkel und Gefühle der jeweils anderen Seite zur Kenntnis zu nehmen, zu verstehen und nachempfinden zu können. Ich sollte nur eine Diskussion eingehen, wenn ich keine persönlichen Triggerpunkte habe, die nicht zum Thema gehören und wenn ich mich nicht angegriffen fühle wenn jemand dabei ist meinen Standpunkt zu kritisieren. Bin ich überzeugt von dem was ich sage und bin ich im Besitz einer eigenen fundierten Meinung, sollte mich nichts so schnell aus der Bahn werfen.
Wie nun zu erkennen, ist einiges notwendig für eine gute Diskussion. Fehlende Fähigkeiten kann es auf beiden Seiten geben, sowohl bei der sprechenden, als auch bei der aufnehmenden Person. Sehr selten, dass auf beiden Seiten alle vorhanden sind.
Gründe, weshalb es alles andere als en vogue ist zu diskutieren, gibt es wie Sand am Meer. Einige, wie die oben genannten, sind irgendwie noch nachvollziehbar, andere sind mehr als kritisch zu betrachten.
Das Thema Corona hat auf eindrucksvolle Weise erkennbar gemacht, wie unser gesellschaftliches Verhältnis zu Diskussionen ist.
Richtig, es gibt keins. Oder wo wird heute noch offen diskutiert? Ich für meinen Teil habe das Gefühl, alle gehen dieser unangenehmen Sache aus dem Weg. Wir haben es verlernt zu diskutieren und deswegen sind Diskussionen nicht gewollt.
Wobei es gerade bei dem Corona Thema unglaublich wichtig wäre, würde ein offener Austausch stattfinden. Sowohl zwischen den einfachen Bürgern, als auch zwischen den Experten. Zwischen Bürgern mit verschiedenen Denkweisen und zwischen Experten mit gegensätzlichen Meinungen.
Wir haben eine Kultur des Rechthabens. Offene Diskussionen können theoretisch dazu führen, dass ich am Ende des Gespräches meine Meinung ändere. Möchte das aber überhaupt jemand?
Haben wir in Talkshows á la Maybrit Illner, Maischberger oder Anne Will schonmal erlebt wie eine Person ihre Meinung korrigiert, in eine andere Richtung geschoben hat?
Die genannten öffentlichen Gesprächsrunden genießen im Land einen hohen Stellenwert, trotz oder eben weil sie genau das Gegenteil von dem repräsentieren was sie vorgeben zu sein. Die Talk-Gäste bekommen zu Beginn nicht mal ansatzweise 5 Minuten um ihren Standpunkt zu erklären und danach ist es ein heilloses Durcheinander wo alle aneinander vorbeireden bzw. es die Hauptaufgabe der Kollegen und der Moderatorin ist, ständig den Gesprächsfluss zu unterbrechen. Leider nutzen solche Formate nicht ihre Möglichkeit einem großen Publikum zu zeigen wie es geht und bleiben somit wertlos. Eine sinnvolle Diskussion lebt ja davon, dass sie Zeit beansprucht und sich jeder ausführlich erklären kann. Im TV scheitern die Verantwortlichen regelmäßig am eigentlichen Anspruch.
Phänomene, welche nicht ausschließlich, aber verstärkt in Talkshows oder allgemein im medialen Raum auftreten und nachvollziehbarerweise eine abschreckende Wirkung haben was die Bereitschaft angeht sich auf eine Diskussion einzulassen, sind das absichtliche Fehlinterpretieren von Aussagen bzw. das in den Mund legen von Sätzen die so nicht gefallen sind. Wenn es um heikle Themen geht, kann das Aussprechen von A dazu führen, dass der aufnehmende Gesprächspartner B, C, D, E bis Z hinzudichtet. Eng verbunden mit der Fehlinterpretation ist die Diffamierung.
Du zweifelst offizielle Narrative an?
Verschwörungstheoretiker!
Du kritisierst und hast andere Lösungsansätze?
Populist!
Du bist gegen die unkontrollierte Masseneinwanderung?
Rechtsradikaler!
Du bist für die Rettung und Aufnahme von Menschen aus Kriegsgebieten?
Gutmensch!
Du nimmst an „Hygiene-Demos“ teil?
Corona-Leugner!
Du hinterfragst Israels politisches Verhalten bezüglich Palästina?
Antisemit!
Grobe aber sich ständig wiederholende Beispiele in denen keine Differenzierung stattfindet und der Beschuldigte keine Möglichkeit bekommt sich genauer zu erklären um den aufgedrückten Stempel wegzuwischen.
Solche Aktionen führen dazu, dass Leute bei gewissen Themen lieber nichts sagen und schweigen.
Menschlich nachvollziehbar, aber sehr gefährlich. Demokratie 2.0?
Wie wir nun gesehen haben gibt es viele Punkte die dazu führen, dass Menschen keine Diskussionen führen wollen bzw. können, das Thema somit in keinem guten Licht steht und als negativ angesehen wird.
Geht man positiver an die Sache ran, erkennt man in Diskussionen diverse Chancen.
Man kann wachsen indem man lernt andere Meinungen zu akzeptieren, vielleicht sogar gut zu finden, auch wenn sie völlig konträr zu den eigenen Gedanken sind. Ich kann aus einem intensiven Gespräch mit neuen Erkenntnissen herausgehen und meine eigentliche Meinung gegebenenfalls korrigieren. Die Fähigkeit diskutieren zu können hat einen immensen Einfluss und erweitert den eigenen Horizont. Das riesige Potenzial wird aber oft nicht erkannt.
Wie viele Streitigkeiten auf privater Ebene (Freundschaften und Partnerschaften) oder auf beruflicher Ebene wären frühzeitig aus der Welt geschafft, gäbe es einen sofortigen klärenden Dialog zwischen den betroffenen Personen? Einen Dialog mit offenem Ausgang in jede Richtung, ein Dialog voller Empathie und Verständnis für das Denken und Handeln des anderen.
Wie viele Kriege hätten vermieden werden können, wären Gespräche geführt worden, statt sofort die Waffen zu ziehen und Bomben zu schmeißen?
Wie viele Missverständnisse hätten nur eine kurze Lebensdauer, würde rasch ein Gespräch stattfinden, in dem sich konkret erklärt wird?
Deshalb mein Appell an alle, diskutiert!
12. August 2020
Gesellschaftskritik